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Immer mehr Gebärende wünschen sich zusätzlich zur medizinischen Betreuung durch die Hebamme auch eine Doula («geburtserfahrene Frau») an ihrer Seite. Doulas begleiten die Geburt durchgehend und unterstützen die werdenden Mütter auf rein emotionaler Ebene. Alle medizinischen Entscheidungen liegen bei den Hebammen – den Chefinnen des Gebärsaals. Diese Doppelbetreuung ist ressourcenreich und spannungsvoll: Die zunehmende Präsenz der Doulas rückt die Bedürfnisse der Gebärenden verstärkt in den Mittelpunkt und birgt das Potential, alteingesessene Strukturen rund um die Geburt aufzuwirbeln.
von Jill Marxer
Ich sitze in Martas1 gemütlicher Küche, ihr warmes Lachen erfüllt den Raum. Die Gastgeberin hantiert an der Kaffeemaschine, serviert Pralinés und Mineralwasser mit Zitrone. Ein Rundumservice. Ich fühle mich willkommen in Martas Zuhause und sie freut sich sehr über das Interesse an ihrer Welt. Ihre Welt, deshalb sind wir verabredet: Ich kontaktierte Marta für mein Dissertationsprojekt über Doulas in der Deutschschweiz, jetzt erzählt sie mir von ihrer Tätigkeit als Doula. Kaum sind die Kaffees serviert und sie hat sich gesetzt, sprudeln die Worte aus ihr heraus. «Es geht darum, dass die Anwesenden um das Wunder und um das Geheimnis und um die heilige Stimmung wissen, die während der Geburt im Raum vorherrschen soll». So beschreibt Marta ihre Rolle als Doula. Sie begleitet Schwangere vor, während und nach der Geburt auf emotional-psychischer Ebene.
Eine Doula ist eine «geburtserfahrene Frau» und hat als solche keine medizinische Ausbildung oder Kompetenz.
Die lückenlose Betreuung ist das Kerngeschäft dieser «Dienerin der Frau», was «Doula» übersetzt aus dem Altgriechischen bedeutet. Es gibt zwar keine Quellen, die belegen würden, wie lange es Doulas schon gibt, im Selbstverständnis basiert das Doulawesen jedoch auf «Jahrhunderte altem, urweiblichem Wissen». Als «Freundin auf Zeit» – so eine weitere Beschreibung – fokussiert die Doula einzig ihre Klientin, stärkt und ermutigt die Frau zusätzlich zur Hebamme als Coach und Fürsprecherin.
Durch die enge Beziehungsarbeit sei es Marta möglich, die volle Konzentration auf die Bedürfnisse ihrer Klientin zu richten und die Paare als «Zeugin dieses Übergangs zur Familie» emotional zu begleiten. Marta erklärt mir, dass sie durch den intensiven Austausch vor der Geburt um die Erfahrungen «ihrer Frauen» weiss und entsprechend sensibilisiert ist. Das beinhaltet beispielsweise elektrische Kerzen – Feuer ist im Kreissaal verboten – anzuzünden, die gewünschte Musik einzulegen und den werdenden Vater ins Geschehen einzubinden.2 Martas Erfahrungsschatz ist beachtlich, vor 20 Jahren begleitete sie die Geburt ihres ersten «Doulababys».
Während Doulas beispielsweise in Nordamerika und Israel schon lange Teil des geburtshilflichen Personals sind, etablieren sie sich in der Schweiz erst langsam. Gründe dafür sind unter anderem länderspezifische Geburtssysteme und unterschiedliche Gesetzeslagen bezüglich Finanzierung. In der Schweiz werden die Leistungen im Schwangerschafts- und Geburtskontext von den Krankenkassen relativ breit abgedeckt, wodurch die Kosten für eine Doula hoch erscheinen: Die ca. 900–1400 Franken für 4 Wochen Rufbereitschaft, zwei Vorgespräche und ein Nachgespräch sowie die lückenlose Geburtsbegleitung müssen in den meisten Fällen privat finanziert werden. Doulas verstehen ihre Dienste als Investition in eine gute Geburtserfahrung und als Prävention gegen potenzielle Traumata. Ausserdem steht für viele Doulas fest, dass ihre Begleitung ohne Schichtwechsel einen natürlichen Geburtsverlauf begünstige. Skeptiker*innen verpönen ihr Geschäftsmodell hingegen verschiedentlich als Produkt der Selbstoptimierungsgesellschaft, in der auch eine Geburt als Event geplant wird und entsprechend ablaufen soll.
Meine Forschung behandelt die Frage, wie Doulas als (religiöse) Spezialistinnen für den transitiven Prozess der Geburt verstanden werden können. In der Deutschschweiz tauchen sie in unterschiedlichen Kontexten auf. Die meisten sind Mitglied im Verband Doula CH, werden über ihre Profile gefunden und von den Schwangeren angefragt. In dieser breiten Masse an Doulas finden sich auch solche mit (alternativ-)religiöser Symbolsprache. Sie erzählen mir vom «Wunder der Geburt», dem «Geheimnisvollen», von «urweiblichem Wissen» und verstehen sich teilweise auch als spirituelle Begleiterinnen.
Eine sehr kleine Minderheit bilden die jüdisch-orthodoxen Doulas, die in Zürich Frauen aus ihren Gemeinden begleiten. Sie haben keine öffentlichen Profile, sondern werden über Empfehlung vermittelt oder kennen die schwangeren Frauen bereits. Ihre eigenen Erfahrungen, als Gebärende und als Begleiterinnen, ist für ihre Arbeit und Legitimation zentral, zumal jüdische Männer ihre Frauen unter der Geburt nicht berühren dürfen und die Doula dafür einspringt.
Ein weiterer Spezialfall in der schweizerischen Landschaft der Doulabetreuung ist die Arbeit mit geflüchteten Frauen, die oftmals gerade den Asylprozess durchlaufen und somit besonders vulnerabel sind. Doulas, die in diesem Bereich arbeiten, sind teilweise mit Profilen auf der Verbandsseite aufgelistet, werden aber meistens von (staatlichen) Gesundheitsstellen oder Berater*innen im Migrationskontext angefragt und bezahlt – oder sie arbeiten unentgeltlich.
In meinem Dissertationsprojekt spreche ich mit Doulas aller drei Felder und untersuche ihre spezifischen Eigenheiten innerhalb der Geburtskultur in der Deutschschweiz.
So divers die Doulaprofile und Einsatzgebiete sind, so klar ist auch der kleinste gemeinsame Nenner: Sie alle investieren in einen kontinuierlichen Beziehungsaufbau schon während der Schwangerschaft, leisten eine konstante Geburtsbegleitung und stehen für die Wünsche der Gebärenden ein. So eng und intensiv die Verbindung, die dadurch entsteht, auch sein mag, die Geburt und das danach folgende Abschlussgespräch markieren meistens das Ende der Beziehung.
Frauen, die sich von Doulas begleiten lassen, erleben diese z. B. als «zusätzliche Energie» und weitere Ressource bei der Geburt. Die Konstellation von Hebamme und Doula als Doppelbetreuung ist aber nicht immer nur harmonisch, sondern birgt Spannungen und kann konfliktreich sein. Auch Hebammen beanspruchen für sich nämlich, die Gebärende ganzheitlich zu begleiten. Es mangelt ihnen jedoch oft an Zeit und sie müssen sich um mehrere Geburten gleichzeitig kümmern. Die Hebamme trägt ausserdem die Verantwortung und kümmert sich darum primär um die medizinische Betreuung.
Die Differenzen von Hebammen und Doulas haben aber auch gesellschaftliche und historische Gründe: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand eine zunehmende Medikalisierung von Schwangerschaft und Geburt statt und es kam zu einer Verlagerung weg von der Kompetenz der Hebamme hin zu ärztlichem Personal und weg von der Hausgeburt hin zur Klinikgeburt. Schon in den 1970er Jahren kam Widerstand gegen diese Entwicklung auf und es wurde kritisiert, dass «natürliche Prozesse» wie Schwangerschaft und Geburt vermehrt als Krankheit wahrgenommen und entsprechend verhandelt wurden. Diese Entwicklungen und gegensätzlichen Positionen prägen die Geburtsvorstellungen bis in die Gegenwart. Auch heutzutage finden in der Schweiz die allermeisten Geburten in einem Krankenhaus statt, in Anwesenheit eines Arztes oder einer Ärztin. Das vermittelte Sicherheitsgefühl einer Krankenhausgeburt und damit einer vermeintlichen Risikominimierung steht für viele Gebärende an erster Stelle und sie kompensieren die damit einhergehende klinische Atmosphäre und den Zeitmangel der Hebamme beispielsweise mit der Betreuung durch eine Doula. Durch den Beziehungsaufbau schon während der Schwangerschaft vermittelt die Doula als vertrautes Gesicht Geborgenheit. Gewisse Hebammen befürchten aber, dass die von den Doulas vermittelten Geburtsvorstellungen unterschätzen, dass Gebären harte körperliche Arbeit sei.
Auch wenn Doulas und Hebammen folglich verschiedene Zugänge zur Geburt und zur Gebärenden haben, überlappen sich ihre basalen Ziele: Beide wollen, dass es Mutter und Kind gut geht. Während die Hebamme die medizinische Situation immer im Blick haben muss und durch den Zeitdruck nur in seltenen Fällen eine Frau durchgehend betreuen kann, fokussiert sich die Doula ganz auf die emotional-psychischen Bedürfnisse der Frau und steht dafür ein.
Als professionelle Begleiterin, die vor allem emotionale Unterstützung leistet, steht eine Doula aber potenziell nicht nur in Konkurrenz zur Hebamme, sondern auch zum werdenden Vater. Die Doulas, mit denen ich gesprochen habe, sehen sich aber nicht als Alternative zum werdenden Vater, sondern als Zusatzunterstützung. Ausserdem seien sie auch für den Vater da, damit er sich auf das Wesentliche, nämlich seine Frau, fokussieren könne und nicht «am MP3-Player rumfummeln muss». Viele werdende Väter sind zu Beginn eher zurückhaltend, nehmen die Doula schlussendlich aber durchaus als Gewinn wahr.
Die Zusammenarbeit von Hebammen und Doulas an Deutschschweizer Krankenhäusern funktioniert in den meisten Fällen sehr gut, weil alle ihre Rollen und Positionen kennen und einhalten, erzählen mir Doulas und Hebammen gleichermassen. Die Hebamme als medizinische Fachkraft und die Doula als Vertraute, die exklusiv ermutigt und begleitet, ergänzen sich. Die Zukunftsprognosen sind rosig: Vor allem die jüngere Generation beider Berufsgattungen sehen in der Zusammenarbeit Potential und Mehrwert für die Frau, und das sei das Wichtigste.
Jill Marxer ist Assistentin bei Prof. Dr. Dorothea Lüddeckens am Religionswissenschaftlichen Seminar der UZH. In ihrem Dissertationsprojekt untersucht sie die Rolle von Doulas in verschiedenen zeitgenössischen Geburtssettings in der Deutschschweiz.