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Von Ann-Lea Buzzi, Fabian Huber und Jens Köhrsen
«Erneuerbare Energien jetzt: People not Profit!», «Netto-Null bis 2030!» und weitere Forderungen zieren die Banner und Schilder der Demonstrierenden, welche Anfang März 2023 anlässlich des globalen Klimastreiks durch die Strassen der grossen Schweizer Städte ziehen. Bereits seit 2018 setzt sich die Klimastreikbewegung für eine wirksame Klimapolitik ein. Die Bewegung trifft damit den Nerv der Zeit: Die steigende Sensibilisierung für die mit dem Klimawandel verbundenen Gefahren geht mit einem gesamtgesellschaftlichen Prozess zu mehr Umweltbewusstsein einher, welcher sich in verschiedenen Lebensbereichen niederschlägt. Dieser Prozess betrifft auch die Religionsgemeinschaften als integralen Teil der Gesellschaft. Wie gehen die Religionsgemeinschaften mit diesem Wandel um? Welchen Beitrag leisten sie selbst, um die Umweltthematik anzugehen?
Die Auseinandersetzung mit der ökologischen Verantwortung von Religionsgemeinschaften ist keineswegs neu: Sie nahm ihren Anfang mit Lynn White (1967),1 welcher der Ansicht war, dass das Christentum eine Mitschuld an der Umweltkrise trage. Er begründete dies damit, dass das Christentum die Vorstellung der menschlichen Herrschaft über die Natur entscheidend mitgeprägt und damit zur Ausbeutung natürlicher Ressourcen beigetragen habe. Diese vielfach kritisierte These bildet den Ausgangspunkt für die akademische Debatte zu Religion und Umwelt. Prominent in dieser Debatte wurde die These des «Greening of Religion», bei welcher das Ergrünen von Religionsgemeinschaften in Form eines wachsenden Umweltbewusstseins sowie -engagements im Zentrum steht.
Auch wenn Uneinigkeit darüber besteht, inwiefern sich diese «Ergrünungstendenzen», insbesondere auf der lokalen Ebene, tatsächlich zeigen, bergen Religionsgemeinschaften unbestreitbar grosses Potential für ökologisches Engagement. Religiöse Akteur:innen haben beispielsweise aufgrund ihrer Sichtbarkeit eine grosse gesellschaftliche Reichweite und können sich öffentlich zu Umweltthemen positionieren. Zudem können sie umweltfreundliche Werte und Weltanschauungen in religiösen Feiern oder im Religionsunterricht verbreiten. Eine weitere mögliche Form des ökologischen Engagements besteht in der Realisierung von konkreten Umweltmassnahmen, beispielsweise indem eine Gemeinschaft in erneuerbare Energien investiert oder durch Gebäudesanierungen die eigene Ökobilanz verbessert. In diesem Zusammenhang existieren bereits institutionalisierte Formen des Umweltengagements, beispielsweise in Gestalt der Fachstelle oeku- Kirchen für die Umwelt, wo sich ökologisch engagierte Religionsgemeinschaften unter anderem mit dem Grünen Güggel zertifizieren lassen können (siehe Infokasten).
Das Forschungsprojekt Are Religions becoming Green? des Zentrums für Religion, Wirtschaft und Politik an der Universität Basel widmet sich dem religiös verankerten Umweltengagement in der Schweiz. Ziel des Projekts ist es, mittels einer schweizweiten Befragung religiöser Gemeinschaften zu ermitteln, inwieweit und in welchen Formen sie sich ökologisch engagieren und durch welche Faktoren dieses Engagement beeinflusst wird.
Erste Ergebnisse zeigen, dass insbesondere bei den Landeskirchen viele Befragte ein wachsendes Umweltbewusstsein innerhalb ihrer Gemeinschaften wahrnehmen. Für das bereits bestehende ökologische Engagement dieser Gemeinschaften werden sehr unterschiedliche Gründe genannt: Einige Befragte argumentieren theologisch, indem sie beispielsweise auf die Schöpfungsverantwortung verweisen. Andere verstehen sich als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses, an dem sie zwar aktiv partizipieren, jedoch nicht primär aus religiösen Beweggründen. Die Rolle der Kirche wird in diesem Kontext sehr unterschiedlich bewertet. In einem der Interviews wird die Daseinsberechtigung der Kirche mit ihrem Grundauftrag, die Schöpfung zu bewahren, begründet:
«Also, die Daseinsberechtigung von einer Kirche liegt in ihrem Grundauftrag und dieser Grundauftrag ist eine soziale Armutsbekämpfung, ist Einstehen für die Schwachen, Benachteiligten, gegen Raubbau in der Schöpfung. Das ist unsere Daseinsberechtigung! Wenn wir für diese Werte nicht einstehen, dann haben wir de facto keine Daseinsberechtigung.»
Andere Befragte machen die Kirchen nicht direkt für den Schutz der Umwelt verantwortlich, sehen sie aber in ihrer gesellschaftlichen Vorbildfunktion gefordert. Auch die spirituelle Bedeutung der Natur wird mehrfach angesprochen. Ein Interviewpartner verweist allerdings darauf, dass die Hauptaufgabe von Religion nicht im Erhalt der Natur, sondern in der Aufrechterhaltung des spirituellen Lebens bestehe:
«Aber, ich weiss nicht, ob es [das ökologische Engagement] der wichtigste Punkt von einer Kirchengemeinde ist. Ich persönlich finde, die Kirche ist ein Ort, der in erster Linie einen religiösen Zweck hat. Umweltschutz mag ein Thema sein, das damit verbunden ist, aber in erster Linie geht es doch um das spirituelle Leben der Menschen.»
Es zeigen sich somit auch bei ökologisch engagierten Religionsgemeinschaften verschiedene Positionen zu ihrer Rolle in der Umweltthematik. Ein Faktor, welcher auf lokaler Ebene bei fast allen Religionsgemeinschaften eine zentrale Rolle spielt, sind die personellen und finanziellen Ressourcen. Ein Mangel an Geld oder Zeit führt dazu, dass die Gemeinschaften zwischen verschiedenen Anliegen abwägen, ihren Aufgabenbereich abgrenzen und klare Prioritäten setzen müssen.
Die Befragungen im Rahmen des Forschungsprojekts Are Religions becoming Green? zeigen, dass in verschiedenen Bereichen vermehrt religiöses Umweltengagement stattfindet: Viele der Gemeinschaften legen Wert auf Recycling, nutzen Ökostrom und einige investieren zum Teil auch in erneuerbare Energien, indem sie beispielsweise Solarpanels auf dem Kirchendach oder eine Wärmepumpe installieren. Diese Massnahmen haben den Vorteil, dass sie messbar und häufig auch sichtbar sind. Unterschwelliger und weniger greifbar ist die Verbreitung ökologischer Werte in Gottesdiensten, im religiösen Unterricht oder über interne Medien. Diese Formen des Engagements sind nicht mit Kosten verbunden und können auch in finanziell weniger gut aufgestellten Gemeinschaften umgesetzt werden.
Zurückhaltung zeigen die Religionsgemeinschaften beim öffentlichen Engagement. Insbesondere politische Positionierungen der Kirche werden sowohl intern als auch extern häufig kritisch bewertet. Neben der Gefahr möglicher interner Spannungen mit Mitgliedern oder der Leitung einer Religionsgemeinschaft bieten Gemeinschaften auch nach aussen eine Angriffsfläche, wenn sie sich öffentlich zu Umweltanliegen äussern. In den Interviews berichten verschiedene Gemeinschaften von Konflikten im Zusammenhang mit ihrem Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative. Auch hier stellt sich die Frage nach der Kernaufgabe von einer Religionsgemeinschaft und danach was sie nach aussen repräsentieren soll. Um verschiedenen Ansprüchen gerecht werden zu können, verzichten die meisten ökologisch engagierten Religionsgemeinschaften darauf, sich öffentlich an gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen. Anstatt wie die Klimastreikbewegung öffentlich Forderungen zu stellen, setzen sie sich innerhalb ihrer Gemeinschaft für Umweltschutzthemen ein und leisten damit als stille Akteurinnen der Nachhaltigkeit einen wichtigen Beitrag zum ökologischen Wandel.
Ann-Lea Buzzi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZRWP an der Universität Basel.
Fabian Huber war Projektmitarbeiter am ZRWP und ist Lehrer für Sozialwissenschaften an der BMS Winterthur.
Prof. Dr. Jens Köhrsen ist Professor für Religion und Wirtschaft an der Universität Basel und Mitglied der Studiengangleitung des ZRWP.
Zum Weiterlesen
Köhrsen, Jens; Blanc, Julia; Huber, Fabian (2022): Tensions in Religious Environmentalism. In: Köhrsen, Jens; Blanc, Julia; Huber, Fabian (eds.): Religious Environmental Activism: Emerging Conflicts and Tensions in Earth Stewardship. London & New York: Routledge, 1–25.
https://greenreligion.theologie.unibas.ch
Anmerkungen
White, Lynn (1967): The Historical Roots of our Ecologic Crisis. In: Science 155, 1203–1207.