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Von Julia Vitelli
«Religionskoordinatorin des Kantons Solothurn» – was für eine Berufsbezeichnung! Seit 2019 darf ich mich beruflich so nennen. Das klingt nett, sagt aber noch recht wenig über meine tatsächlichen Aufgaben oder Kompetenzen aus. Im gepflegten Smalltalk kommt deshalb schnell auch mein Werdegang zur Sprache, mein RWP-Studium. Doch hier liegt gleich der nächste Stolperstein: Was heisst das, «R, W, P»? Es sind drei Buchstaben, die einer Auslegung bedürfen. Das gilt selbst dann noch, wenn die Abkürzung ausgeschrieben wird: «Religion, Wirtschaft, Politik.» – «Was hast du denn jetzt studiert? Religionswissenschaft? Politologie? BWL?».
Ich erinnere mich, als ich im Rahmen einer Tagung der Theologischen Fakultät Basel zum ersten Mal vom «Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik» gehört habe. Sofort wurde ich hellhörig ob der Fächerzusammensetzung, der interdisziplinären Zusammenarbeit, dem universitären Joint-Venture – ich war begeistert. Mich langsam dem Bachelorabschluss der Theologie annähernd war ich ohnehin gerade auf der Suche nach einer Anschlusslösung. Ich wollte zwar nicht per se den Studiengang wechseln, war aber auch neugierig, was die Uni sonst noch so zu bieten hat. Nach kurzer Überlegung habe ich mich dann für den Master RWP eingeschrieben. Ein Entscheid, von dem ich bis heute profitiere.
Es ist diese Mischung aus Autonomie, Begegnung und Perspektivenwechsel, die den RWP-Master für mich auszeichnet. Viele Fächer kann man nach Interesse wählen, jeder der drei Standorte bietet Schwerpunkte und Vertiefungsmöglichkeiten. Und trotz des offenen Curriculums ist man beim ZRWP gut aufgehoben: Die Studiengangleitung ist genauso hilfsbereit wie die Mitstudierenden, die sich aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenfinden. Wer RWP studiert, tut das aus guten, wenn auch sehr unterschiedlichen Gründen. Das garantiert spannende Diskussionen im und neben dem Seminar. Grosse Massen an Studierenden sind im RWP-Studiengang nicht anzutreffen. Er bietet viel Freiheit, Mobilität und Interdisziplinarität – aber eben nicht allzu viele Kommiliton:innen. Für jemanden wie mich, die es schon immer gemocht hat, in kleineren Kreisen zu studieren, und die die persönliche Begegnung dem anonymen Uni-Campus vorzieht, war das ein optimales Tummelfeld.
Die Frage, was ich im Anschluss an die universitäre Laufbahn beruflich machen will, hat mich während meiner sechs Semester immer begleitet. Es war aber nie eine Frage, die mich nervös gemacht hat oder die von Zukunftsängsten geprägt war, sondern immer bezogen auf verschiedene Optionen. Es galt herauszufinden, wo meine Interessen und Kompetenzen liegen. Auch hierbei hilft das Studium, denn man wird immer wieder herausgefordert: Gemeinsame Referate bedingen eine gute Koordination und Kommunikation, die Mobilität zwischen den Standorten verlangt planerische Fähigkeiten, die interdisziplinären Veranstaltungen erfordern vernetztes Denken, die Seminararbeiten beanspruchen Ausdauer. Stets vorausgesetzt wird die Lust an der Auseinandersetzung – im Denken, Diskutieren und Handeln.
All das sind Fähigkeiten, die ich auch in meiner jetzigen Tätigkeit als Religionskoordinatorin benötige und einsetzen kann. Und es macht Freude, sie nicht nur in der «Schutzzone» Universität einzuüben, sondern sie auch ausserhalb des Seminarraums, in der freien Wildbahn, anwenden zu können.
Dass ich einmal in einer kantonalen Verwaltung landen würde, hätte ich zu Studienbeginn nicht gedacht. Aber auch diesen Umstand verdanke ich Mitstudierenden. Nicht nur, weil sie mein Denken geprägt haben, sondern auch, weil sie meine Kompetenzen gesehen haben. Weil sich durch Begegnungen und in Gesprächen Denkräume eröffnet und Berufsbilder gezeigt haben, die ich im Vorfeld nie als so vielschichtig und interessant im Blick gehabt hatte.
Als Religionskoordinatorin stehe ich heute an der Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung und Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren. In einem Kanton mit einer vielfältigen Religionslandschaft kann ich die Religionspolitik aktiv mitgestalten. Meine Hauptaufgabe ist es, die Zusammenarbeit mit privatrechtlichen Religionsgemeinschaften weiterzuentwickeln, denn sie erfüllen für ihre Mitglieder und für die ganze Gesellschaft wertvolle Aufgaben, z. B.in den Bereichen Seelsorge, Kinder- und Jugendförderung, Radikalisierungsprävention, Bildung oder Integration. Es sind Themen, die auch staatliche Leistungsfelder betreffen. Ein Ausbau der Kooperation ist daher sinnvoll und notwendig. Da Religion aber zugleich eine sensible Angelegenheit ist und der Staat tendenziell lieber ein distanziertes Verhältnis pflegt, braucht es viel Fingerspitzengefühl: Wo liegen die Grenzen der korporativen Religionsfreiheit? Wo hören gesellschaftliche Leistungen auf und wo beginnen religiöse Aktivitäten? Wer definiert, was religiöse Akteur:innen sind? Um diese Fragen zu klären, muss stets der Dialog geführt und der Kompromiss gefunden werden. Ziel von mir als Religionskoordinatorin ist nicht die Stärkung von Religion oder die Verteidigung von Religionsgemeinschaften, sondern der Abbau von Diskriminierung und die Förderung von Chancengleichheit und Partizipation. Dass ich in meiner Funktion am muslimischen Fastenbrechen und an hinduistischen Tempelfesten teilnehmen kann, ist ein positiver Nebeneffekt – und, ganz im Sinne des RWP-Masters, ein Perspektivenwechsel. Das würden meine Berufskolleg:innen aus Basel-Stadt, Bern und Zürich sicher bestätigen.
Julia Vitelli ist Religionskoordinatorin des Kantons Solothurn und RWP-Alumna.